Wie wollen wir leben? Welche Zukunft wünschen wir uns? Was ist für uns das gute Leben?
Wie können wir die Gesellschaft so gestalten, dass die durch die Digitalisierung ausgelösten gesellschaftlichen Veränderungen nicht die Autonomie des Individuums und die kollektive Selbstbestimmung der Gesellschaft gefährden?
Diese Fragen sollten wir uns stellen, um die digitale Gesellschaft in unserem Sinne gestalten zu können.
Nur eine klare Analyse der Gegenwart, unter Einbeziehung des aus der Vergangenheit Erlernten, ermöglicht es uns, bewusst gestalten zu können, wie wir leben.
In diesem Beitrag werde ich deshalb der Frage nachgehen, in welchem Verhältnis technologische Entwicklungen heute zu sozialen Veränderungen stehen.
Bei der Digitalisierung geht es längst nicht mehr bloß um Fortschritte im Bereich der Technik, sondern um neue Lebensformen. Technologische Entwicklungen sind oftmals Auslöser für sozialen Wandel. Gesellschaftliche Strukturen verändern sich, wenn neue Techniken unseren Alltag bestimmen.
Chancen und Herausforderungen der Digitalisierung
Einerseits bietet die Digitalisierung viele Chancen: Wir haben einen leichteren Zugang zu Wissen und Informationen, geteiltes Wissen gilt als neues Ideal. Bessere, individualisierte Dienstleistungen werden möglich.
Andererseits ermöglichen die digitalen Techniken neue Formen der Überwachung und Kontrolle. Manager überwachen Verhalten und Leistung der Angestellten. Neue Softwarelösungen können jeden einzelnen Arbeitsschritt aufzeichnen und nachvollziehbar machen. Oft ist für die Beschäftigten nicht einsehbar, wie die Kontrollen durch das Management ablaufen.
Mangelnde Transparenz ist eines der großen Probleme im digitalen Zeitalter. So können wir etwa die Art und Weise, wie Algorithmen Suchergebnisse liefern, weder einsehen noch beeinflussen. Dabei repräsentieren Algorithmen die Werte ihrer Programmierer und reproduzieren Vorurteile. Die Mathematikerin Cathy O‘ Neil brachte es auf den Punkt als sie sagte: „Algorithms are opinions embedded in code.“
Kommunikation im digitalen Zeitalter
Vor allem im Bereich der zwischenmenschlichen Kommunikation hat die digitale Transformation zu massiven Um- und Weiterentwicklungen geführt.
Social-Media-Dienste ermöglichen es uns, schnell und unkompliziert Text-, Sprach-, Bild- und Videonachrichten auszutauschen. Mithilfe von Filehosting-Diensten wie Dropbox können wir leicht auch größere Dateien anderen zugänglich machen. Über den täglichen Newsfeed bei Twitter und Facebook erfahren wir über das Internet schon morgens in der U-Bahn, was in der Welt da draußen gerade geschieht. Mit dem Smartphone stets in Reichweite können wir uns den ganzen Tag über mit einem Klick auf dem Laufenden halten.
Auf der einen Seite werden die neuen Möglichkeiten zur Vernetzung begrüßt, weil sie Kommunikation erleichtern und bereichern.
Auf der anderen Seite komme Ängste auf, wie etwa die, dass unsere Konzentrationsfähigkeit durch den ständigen Gebrauch des Smartphones immer mehr verloren geht, oder die, dass es zu einer schleichenden Vereinsamung und sozialen Entfremdung kommen könnte, wenn wir verlernen, anders als über den Screen miteinander zu kommunizieren.
Es wird befürchtet, dass ältere Kulturtechniken verloren gehen könnten, weil der Reiz der neuen Technologien zu groß sei.
Und tatsächlich würden einige Leute mittlerweile am liebsten Schulbücher durch Tablets ersetzen.
Was technisch machbar ist, wird früher oder später auch umgesetzt. Ökonomische Interessen spielen hier eine große Rolle, aber auch menschliche Neugier. Das hat Konsequenzen für unser zwischenmenschliches Miteinander.
Arbeit 4.0? – Die Zukunft der Arbeit
Die Digitalisierung verändert unsere Arbeitswelt. Vernetztes Arbeiten ermöglicht Flexibilität in Bezug auf den Arbeitsort. Durch die Nutzung von Dokumentenmanagementsystemen und Social Intranet entsteht in den Unternehmen eine Kultur der Wissensvermittlung, in der das Teilen von Wissen zählt, und nicht der Wissensvorsprung Einzelner. Informationen sind frei zugänglich. Das vereinfacht die Kommunikation – und wird auch von außen gerne gesehen, da das Unternehmen auf diese Weise transparenter wirkt. In allen Bereichen nehmen Beweglichkeit und Schnelligkeit durch die Digitalisierung zu.
Für Führungskräfte ist das ein große Herausforderung, denn es müssen praktisch alle Aufgaben überdacht und angepasst werden; die Zusammensetzung von Teams wird verändert, neue Bereiche und Positionen entstehen.
Auch die Verteilung von Jobs und Einkommen, unsere Bildung und Ausbildung, unser tägliches Miteinander in der Familie werden durch die Digitalisierung durcheinander gerüttelt.
Institutionen aus Wirtschaft und Politik werden durch sie auf den Kopf gestellt. Sie bedingt den fortschreitenden Wandel zur Wissens- und Informationsgesellschaft, sowie den zur Dienstleistungsgesellschaft.
Vor diesem Hintergrund müssen wir uns die Frage stellen, in was für einer Art von Gesellschaft wir eigentlich leben wollen.
Technologische Lösungen für soziale Probleme
Die großen Konzerne wie etwa Google und Facebook orientieren sich mehr am kurzfristigen Profit, als an der Ausgestaltung langfristig angelegter gesellschaftlicher Entwicklungen im Sinne des Gemeinwohls.
Ihnen sollten wir nicht die Gestaltung des digitalen Lebens überlassen.
Was dabei rauskommt kann man nämlich gut im Silicon Valley beobachten. Dort werden immer wieder technologische Lösungen für soziale Probleme entwickelt. Diese „Techno-Governance“, wie der Medienwissenschaftler Geert Lovink sie nennt, schlägt etwa Lösungen „gegen die Erderwärmung und Ebola, für effiziente Nahrungsverteilung und andere noble Anliegen“ vor.
Doch statt um soziale Innovationen geht es dabei um individualistische Lösungen komplexer Probleme.
Evgeny Morozov beobachtet, wie im Valley stets individuelle Lösungen einer gesellschaftlichen Veränderung vorgezogen werden.
Man ist dazu aufgefordert, Probleme wie etwa Übergewichtigkeit, für sich selbst zu lösen, indem man Beobachtungs- und Kontrollgeräte oder -Apps verwendet, die das eigene Verhalten beobachten, kontrollieren, analysieren, um es dann entsprechend zu ändern.
Die gesellschaftliche Lösung, also zum Beispiel die „Macht von McDonald’s oder anderen Nahrungsmittelkonzernen einzuschränken, die wahrscheinlich mit den Ursachen von Übergewichtigkeit deutlich mehr zu tun haben“, kommt gar nicht erst in den Blick – und sie ist natürlich auch nicht erwünscht. Willkommen in der Corporate Society.
Der historische Hintergrund: Rationalisierung und Automatisierung
Woher kommt das mechanistische Gesellschaftsbild der „Gesellschaft 4.0“, in der allen sozialen, politischen und ökologischen Problemen mit technischen Lösungen begegnet wird?
Um diese Frage zu beantworten ist ein Blick in die Geschichte hilfreich.
Die Digitalisierung ist ein Mittel zur Fortführung des seit dem Aufkommen der Industrialisierung vorherrschenden Paradigmas der Rationalisierung und Automatisierung.
Die Erfindung der Dampfmaschine im Jahr 1770 markiert den Beginn der sogenannten „industriellen Revolution“.
Diese versprach eine zunehmende Befreiung von harter und überflüssiger Arbeit durch eine zunehmende Automatisierung. Maschinen konnten Arbeiten erledigen, die für Menschen reine Schinderei waren.
Die industrielle Revolution bedingt das Aufkommen des Kapitalismus als geltende Wirtschaftsordnung: Um handlungsfähig zu sein, war es für damalige Wirtschaftsakteure wichtig, große Mengen an Kapital zu mobilisieren. Nur so konnten sie z.B. in Maschinen investieren, um später produzieren zu können. Kaufleute schlossen sich in großen Handelsgesellschaften zusammen, um möglichst viel Kapital akkumulieren zu können.
So kam es, dass der Kapitalismus sich in jener Zeit als vorherrschende Wirtschaftsform durchsetzen konnte. Das gesamte Wirtschaften und Arbeiten ist dabei auf die Maximierung des Profits ausgerichtet.
Damit geht die Notwendigkeit einer maximalen Ausbeutung von Ressourcen und von fremder Arbeitskraft einher.
Paradigma des grenzenlosen Wachstums
Der Kapitalismus braucht fortwährenden Wachstum, um zu bestehen.
Dieses Paradigma ist jedoch längst an seine Grenzen gestoßen. Bereits 1972 wurden in einer vom Club of Rome in Auftrag gegebenen Studie die „Grenzen des Wachstums“ aufgezeigt. Doch die biophysischen Grenzen des Planeten werden seitdem immer weiter überschritten.
Die digitale Ökonomie wird nun als Motor für neues wirtschaftliches Wachstum interpretiert; die Digitalisierung wird zur Rechtfertigung des Festhaltens am Paradigma des grenzenlosen Wachstums instrumentalisiert.
Doch ist es nicht an der Zeit, das alte Paradigma hinter uns zu lassen und einen gesellschaftlichen Gegenentwurf zum vorherrschenden Wachstumsmodell zu entwickeln?
Wie könnte eine Transformation hin zu einem sozial gerechten und ökologisch nachhaltigen Wirtschafts- und Gesellschaftsmodell aussehen? Wie kann man die natürlichen Ressourcen erhalten und ein harmonievolles Miteinander erreichen? Welche alternativen Formen gesellschaftlicher Organisation sind denkbar?
Buen vivir! – Gutes Leben für alle!
Der ehemalige ecuadorianische Energieminister Alberto Acosta war wesentlich an der Gestaltung der neuen Verfassung Ecuadors beteiligt, in der zum ersten Mal Rechte für die Natur sowie das Konzept des „Buen vivir“ verankert wurde.
Buen vivir, gutes Leben für alle, bedeutet materielle, soziale und spirituelle Zufriedenheit für alle Mitglieder der Gemeinschaft, jedoch nicht auf Kosten anderer Mitglieder und nicht auf Kosten der natürlichen Lebensgrundlagen.
Dem positivistisch-naturwissenschaftlichen Weltbild, das die Welt nur insoweit kennt, wie es diese manipulieren kann, und dessen zentraler Wert der Fortschritt ist, stellen sie ein ganzheitlicheres Weltbild gegenüber, in dem es auf den Erhalt der natürlichen Ressourcen und auf ein harmonievolles Miteinander ankommt.
Die indigenen Völker der Anden und der Region um den Amazonas versuchen schon lange, lange Zeit, miteinander und mit der Natur in Harmonie zu leben.
Auch wir Menschen hier in Europa wussten wie im Träume einst, wie das möglich ist. Doch wissen wir es nun, gleichsam erwacht, nicht mehr. Das ist die Dialektik der Aufklärung.
Doch auch hier in Europa ist eine große Sehnsucht nach einem anderen, besseren Leben zu spüren. Immer mehr Menschen machen sich auf die Suche nach alternativen Gesellschaftsentwürfen, die langfristig angelegte gesellschaftliche Entwicklungenermöglichen und vernünftige und emanzipatorische gesellschaftliche Verhältnisseschaffen könnten. Postwachstum, degrowth, Nachhaltigkeit, eine Kultur der Commons und der Partizipation, sind Konzepte, die immer mehr Anklang finden.
Initiativen im Köln/Bonner Raum
In Köln hat etwa Davide Brocchi den „Tag des guten Lebens: Kölner Sonntag der Nachhaltigkeit“ ins Leben gerufen, der die Stadt zum Gemeinwohl werden lässt. Dahinter steht eine Allianz aus Zivilgesellschaft, Institutionen und Anwohnern.
In Bonn habe ich gerade mit Johanna Schäfer das Sozialinnovation Meetup gestartet, das jeden zweiten Mittwoch im Monat im BonnLAB stattfindet. Dort wollen wird folgenden Fragen nachgehen:
Wie könnte ein ganzheitlicher Gesellschaftsentwurf im Sinne der Menschen und der Umwelt aussehen?
Wo müssen wir ansetzen, welche Hebel müssen wir bedienen, um ein wirklich nachhaltiges Gesellschaftsmodell zu bauen?
Ihr seid alle herzlich eingeladen, dazustoßen, und mit uns zu diskutieren!
Anmeldung bitte über Meetup!
Foto von Oliver Kepka